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Schweiz am Wochenende

Wie das Silicon Valley unsere Esskultur revolutioniert: Mit Robotern, virtuellen Restaurants und Nahrungsersatz

Seit sich Fahrdienste wie Uber und Lyft etabliert haben, gibt es im Silicon Valley keine Taxis mehr. Durch die Konkurrenz von Airbnb schliessen immer mehr Hotels. Und aufgrund der neusten Food-Trends überlegen sich Architekten, ob es in modernen Wohnungen noch eine Küche braucht.

Im Silicon Valley wird privat immer seltener gekocht – wieso sollte man? Restaurants optimieren ihre Prozesse so, dass sie Mahlzeiten billiger verkaufen, als man sie selber zubereiten könnte. Die persönliche Essenslieferung ist immer nur einen Klick entfernt. Roboter erobern die Küchen. Und Programmierer fragen sich, ob man Essen tatsächlich essen muss.

Kalifornien ist seit Jahrzehnten bekannt für eine spannende Küche. Lange Zeit wurden die Trends von innovativen Köchen geprägt, jetzt mischen plötzlich Jungunternehmer mit. Sie haben wenig Ahnung von Gastronomie, sind aber trotzdem überzeugt, die Branche mit neuen Ansätzen revolutionieren zu können. Dabei prallt der Valley-typische Wunsch nach Effizienz auf eine Esskultur, die über Jahrhunderte geformt und romantisiert wurde. Es entsteht Reibung: Wenn die Tech-Visionäre unsere Banken, Telefone und Autos digitalisieren, nimmt man das hin – aber beim Essen hört der Spass auf.

Nicht mehr nur Pizza
Nichts hat die Esskultur im Silicon Valley so verändert wie die Omnipräsenz der neuen Lieferdienste. Während man früher auf diese Weise nur Pizza bestellen konnte, ist durch Online-Plattformen wie UberEats, Doordash und Grubhub die Auswahl der Restaurants so gross und der Bestellvorgang so simpel geworden, dass viele Leute gar nicht mehr anders essen. Durch das enorme Angebot sinken nämlich automatisch die Preise – für das Essen wie für den Transport. Restaurants kümmern sich unterdessen nicht mehr selber um die Lieferung, sondern übergeben die fertigen Gerichte an Fahrer der erwähnten Online-Plattformen. Diese transportieren sie von den Küchen zu den Kunden.

Für viele Restaurants haben sich diese Lieferbestellungen unterdessen zum Hauptgeschäft entwickelt. Deshalb entstehen derzeit «virtuelle Restaurants», welche ihr Essen nur noch über Drittanbieter verkaufen und gar nicht mehr direkt an Gäste. So sparen sie sich die Kosten für Servicepersonal und Raummiete, Inventur und Marketing.

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Speisekarte ist schnell gewechselt
Plötzlich werden Restaurants nicht mehr in beliebten Fussgängerzonen eröffnet, sondern in Industriegebieten, wo die Miete billiger und die Lieferzeiten kürzer sind. Mehrere virtuelle Restaurants können aus derselben Küche heraus operieren und so freie Kapazitäten nutzen. Gastronomiebetriebe werden im Silicon Valley deshalb immer häufiger wie Start-ups geführt: Man probiert etwas aus, wartet die Reaktion der Kundschaft ab, und wenn es nicht funktioniert, sattelt man um. Ein virtuelles Restaurant muss nur seine digitale Speisekarte ändern, um sich innerhalb weniger Tage komplett neu zu erfinden. Das eröffnet viele Möglichkeiten, bedeutet aber auch enorme Abhängigkeit: Wenn Restaurants nur noch über zentrale Plattformen mit ihren Kunden zu tun haben, ist ihr kommerzieller Erfolg abhängig von den Algorithmen des Lieferdiensts.

Delivery-Plattformen sind im Trend und werden sich schon bald fundamental weiterentwickeln. Dann nämlich, wenn es keine menschlichen Fahrer mehr braucht, um Gerichte auszuliefern, sondern Roboter das übernehmen. In der Vergangenheit gab es bereits erste erfolgreiche Tests mit Drohnen und autonomen Mini-Fahrzeugen, welche auf dem Trottoir navigieren und derzeit von der Schweizer Post für Pakettransporte getestet werden. Dazu kommt die Zukunftsvision der selbstfahrenden Autos, welche früher oder später Realität werden dürfte.

Automatisieren will man aber natürlich nicht nur die Essenslieferung, sondern auch die Zubereitung. Einen Vorgeschmack darauf erhält man bereits jetzt im kalifornischen Mountain View, wenige Kilometer vom Google-Hauptquartier entfernt. Dort hat die Firma Zume ihren Hauptsitz: Das Start-up nutzt Roboterarme des Schweizer Konzerns ABB, um damit die «perfekte Pizza» zuzubereiten. (Sie ist tatsächlich äusserst lecker.)

In San Francisco experimentieren zudem erste Fastfood-Restaurants mit Maschinen, welche eigenständig Burger braten, und im grössten Kino der Stadt serviert ein Roboterarm schon vollautomatisch Kaffee. Gleichzeitig arbeiten diverse Firmen daran, Küchenroboter für die eigenen vier Wände zu verkaufen.

Diese Produkte sollen in ihrem Funktionsumfang weit über Geräte wie den deutschen Kochroboter Thermomix herausgehen, welcher seit den 70er-Jahren auf dem Markt ist und sich in den vergangenen Jahren ebenfalls rasant entwickelt hat.

Restaurants wie Selecta-Automaten
Bei Eatsa, einer Restaurantkette aus San Francisco, erlebt man bereits heute, wie das Leben mit Roboterköchen einst aussehen könnte: Am Eingang des Restaurants stellt man sich auf einem iPad seine persönliche Salat- oder Quinoaschüssel zusammen, zahlt mit Kreditkarte, wartet einige Minuten, und sobald das Essen fertig ist, leuchtet eine von mehreren Glasboxen auf. Daraufhin nimmt man sein Mittagessen heraus, ohne dass man die Köche, welche das Gericht im Hintergrund präparierten und in der Box deponierten, auch nur erahnen kann. Die Prozedur erinnert eher an einen Selecta-Automaten als an ein Restaurant.

Momentan sind echte Köche im Silicon Valley noch gefragt: Tech-Firmen versorgen ihre Angestellten nämlich häufig mit kostenlosem Frühstück, Mittag- und Nachtessen und stellten teilweise sogar Sterneköche an den Herd. Die Küche im Büro hat sich dadurch zu einem wichtigen Faktor entwickelt, um neue Mitarbeiter anzuwerben. Die Küche daheim wurde hingegen obsolet.

Wenn Programmierer sich trotzdem einmal selber verpflegen müssen, greifen viele von ihnen zu «Soylent» – einem Nahrungsersatz, der seit einigen Jahren auf dem Markt ist. Das Produkt ist im Silicon Valley unterdessen derart beliebt, dass man in fast jeder Tech-WG irgendwo einige Flaschen herumstehen sieht. Jede davon beinhaltet einen Fünftel aller Nährstoffe, welche der Körper pro Tag benötigt.

Vor allem bei Programmierern, welche ihre Zeit und ihre Energie lieber in die Arbeit statt ins gemeinsame Mittagessen – oder ins Kauen – investieren, ist die dickflüssige Soylent-Masse gefragt. Der Gründer des Unternehmens, Rob Rhinehart, behauptet sogar, dass er sich seit mehreren Jahren von nichts anderem mehr ernähre.

Das Silicon Valley ist gut darin, Dinge abzuschaffen. Es sorgt dafür, dass Mehrzimmerwohnungen keine Küchen mehr brauchen, Restaurants ihre Gerichte verschicken statt servieren und Köche bald mit Robotern konkurrieren. Mit Soylent als Nahrungsersatz versucht es sich sogar an der kompletten Abschaffung des Essens – und hat damit beachtlichen Erfolg. Dass sich diese Trends ähnlich schnell verbreiten werden wie Uber und Airbnb, ist trotzdem unwahrscheinlich. Denn beim Essen hört der Spass mit der digitalen Optimierung für viele auf.

von Patrick Züst

Quelle: Schweiz am Wochenende
veröffentlicht: 26. November 2017 05:00
aktualisiert: 26. November 2017 05:00