«Grenzt an Nötigung»

Psychologe kritisiert Trinkgeld-Methode an Zürcher Weihnachtsmärkten

Mit einer Tasse Glühwein in der Hand über den Weihnachtsmarkt schlendern, läutet für viele die besinnliche Adventszeit ein. Wie sich zeigt, wird dieser Zeitvertreib vom Thema Geld überschattet – vom Thema Trinkgeld, um genau zu sein.

Nötli und Münz braucht man an den Weihnachtsmärkten in Zürich nicht mehr. Mit dem Verzicht auf Bargeld soll unter anderem diebischen Langfingern das Handwerk gelegt werden, heisst es auf der Infoseite vom Wienachtsdorf beim Bellevue. Zusätzlich werde dadurch die Wartezeit an den Bars verkürzt, wenn mit der Karte und zusätzlich kontaktlos bezahlt werde.

Freche Trinkgeld-Masche

Das müsste den Besuchenden eigentlich gefallen. Weniger Gefallen finden Reddit-User an den Preisen und dem Trinkgeld-System auf den Märkten. «Die Glühwein-Situation in Zürich ist lächerlich», schreibt ein User. «Total überteuert und nicht einmal fein», begründet er sein Fazit.

Es werde den Kundinnen und Kunden nämlich einfach das Kartengerät hingehalten, mit mehreren Optionen zum Trinkgeld geben. «Man kann zwischen fünf, zehn und fünfzehn Prozent Trinkgeld wählen» – oder halt eben gar keines. Viele schreiben, dass sie sich fast schon genötigt fühlen, auf eine der Prozent-Optionen zu klicken.

Einige der Kommentieren schreiben, dass sie gerne Trinkgeld geben, wenn der Service stimme. Fertigen Glühwein in einen Becher zu kippen, zähle für sie jedoch nicht dazu. Ausserdem empfinden es viele als frech, wenn sie nicht aus freien Stücken einen Extra-Batzen geben können, sondern so proaktiv angegangen werden.

Mitarbeitende werden explizit geschult

Für die Veranstaltenden des Wienachtsdorf am Bellevue ist klar, dass man niemanden zwingt, Trinkgeld zu geben. «Über unsere Kanäle haben wir kein negatives Feedback erhalten», sagt Katja Weber, Mit-Gründerin des Wienachtsdorfs am Bellevue.

Es habe sich aber gezeigt, dass die Menschen durchaus die Möglichkeit haben möchten, dem Personal «Danke» zu sagen und deren Arbeit in Form von Trinkgeld wertzuschätzen, erklärt Weber weiter. Sie betont, dass man auch die Option wählen kann, kein Trinkgeld zu geben.

«Unsere Mitarbeitenden werden bei den Briefings zu den Serviceabläufen auf das Thema sensibilisiert und legen das Zahlungsgerät den Kunden hin und bereiten erst dann die Getränke oder Speisen zu. So können unsere Gäste den Zahlungsprozess in einem diskreten Rahmen durchführen. Dieser Ablauf ist übrigens auch für unsere Mitarbeitenden sehr angenehm, da so ein natürlicher Umgang mit der Thematik geschaffen werden kann», führt Weber weiter aus.

Psychologe findet Vorgehen fragwürdig

Für den Konsum- und Wirtschaftspsychologen Christian Fichter ist Handhabe des Trinkgelds an den Zürcher Weihnachtsmärkten ein heisses Eisen. Auf Anfrage von ZüriToday meint er, dass diese Handhabe an Nötigung grenze. «Dieses Verhalten verletzt die Regeln des grundlegenden Anstands und Respekts gegenüber den Konsumenten», so Fichter.

Bei dem Vorgehen auf den Märkten werde eine klare Grenze überschritten. «Die aggressive und fast aufdringliche Art und Weise, wie Trinkgeld über die Kartengeräte eingefordert wird, setzt die Gäste unverhältnismässig unter Druck», erklärt der Experte. Dass die Konsumentinnen und Konsumenten so in eine defensive Position gezwungen würden, findet Fichter nicht nur psychologisch manipulativ, sondern auch «ethisch fragwürdig».

Psychotricks zur besinnlichen Jahreszeit

Fichter beschreibt weiter, dass die Betreiber solcher Märkte die Psychologie offenbar kennen. Er beobachte einige Psychotricks: «Wenn Gäste direkt mit der Option konfrontiert werden, Trinkgeld zu geben, kann das Gefühl entstehen, sozialen Erwartungen entsprechen zu müssen, um nicht negativ aufzufallen», erklärt er.

«Befinden sich Menschen in einer unsicheren Situation, tendieren sie dazu, das Verhalten anderer als Richtschnur zu nehmen», so Fichter. Er erklärt, dass die explizite Aufforderung, Trinkgeld zu geben, suggeriere, dass dies ein übliches und erwünschtes Verhalten sei.

Seine Empfehlungen an die Konsumentinnen und Konsumenten lautet daher, man solle «Antizipieren, dass man zur Trinkgeldgabe genötigt werden wird, und selbstbewusst auf Null drücken», so der Psychologe.

Bargeld als Tipp vom Experten

Wenn man etwas geben möchte, weil man besonders kompetent bedient wurde, könne man den Dienstleistenden direkt etwas Bargeld in die Hand drücken. «So kann man auch sicher sein, dass das Geld nicht einfach in die Betriebskasse oder in eine geteilte Kasse fliesst», erklärt Fichter.

«Es ist nicht hinnehmbar, dass Konsumenten sich genötigt fühlen, Trinkgeld zu geben, insbesondere in einer Zeit, in der ohnehin schon hohe Preise und wirtschaftliche Unsicherheit herrschen», kritisiert der Experte und fügt an, dass eine solche Praxis die grundlegenden Prinzipien des fairen Handels und der Kundenfreundlichkeit verletze.

Fichter appelliert auch an die Betreiberinnen und Betreiber von Weihnachtsmärkten und ähnlichen Veranstaltungen. Die Verantwortlichen sollten ein diskreteres und kundenfreundlicheres System zur Trinkgeldgabe einführen, findet er. «Das Ziel muss sein, den Konsumenten die Freiheit zurückzugeben, selbst zu entscheiden, ob und wie viel Trinkgeld sie geben möchten», schliesst Fichter.

Scan den QR-Code

Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.

Quelle: ZüriToday
veröffentlicht: 13. Dezember 2023 16:26
aktualisiert: 13. Dezember 2023 16:26