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Islamismus: Einblick in Leben des Zürcher Attentäters Anis T.

Wer war Anis T., der Anfang März mitten in Zürich auf einen jüdischen Familienvater einstach?
Anis T.

Familie des Zürcher Attentäters gibt Einblick in sein Leben

Wer war Anis T., der Anfang März mitten in Zürich auf einen jüdischen Familienvater einstach? Recherchen geben Einblick in sein Leben.

Die Tat schockierte. Anfang März stach ein 15-Jähriger in Zürich auf einen Juden ein. Es war dem beherzten Eingreifen zufällig anwesender Kampfsportler zu verdanken, dass der 50-Jährige schwer verletzt überlebte.

Schnell wurde klar, dass es sich beim Angriff um dschihadistisch-antisemitischen Terror handelte. Der Täter ist tunesischer Herkunft, seine Familie gab gegenüber dem «Tages-Anzeiger» Auskunft, der ihn «Anis T.» nennt. Auch die Familie kann sich nicht erklären, wie der Jugendliche zu so einer Tat fähig war.

Der 15-Jährige radikalisierte sich online.
Foto: pd

Anis kommt im September 2008 in Bülach zur Welt. Er ist das älteste von fünf Geschwistern. Seine Eltern kommen beide aus Tunesien. Mit drei Jahren wird Anis zusammen mit seinem Vater eingebürgert, seine Mutter hat bis heute keinen Schweizer Pass.

Kindheit in Tunesien

Sein Vater arbeitet als Taxifahrer, doch das Geschäft läuft nicht gut. Aus finanziellen Gründen entscheiden die Eltern, dass die Kinder mit der Mutter nach Tunesien ziehen, während der Vater weiter in der Schweiz arbeitet. Die Kinder sollen so Arabisch lernen und mit der tunesischen Kultur vertraut werden.

Zuerst besucht Anis eine öffentliche Schule, dann eine staatlich anerkannte Privatschule. Der «Tages-Anzeiger» hatte Zugang zu Fotos aus dieser Zeit. Die Lehrerinnen unterrichten teilweise ohne Kopftücher, die Klassen sind gemischt. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Anis' Umfeld in Tunesien streng religiös oder gar extremistisch war.

Während seiner Zeit in Tunesien sieht Anis seinen Vater selten. Er besucht seine Frau und die Kinder nur sporadisch, in den Sommerferien reist die Familie zu ihm in die Schweiz.

Rückkehr in die Schweiz

2021 kehrt die Familie wegen der Coronakrise in die Schweiz zurück, früher als geplant. Eigentlich hätten die Kinder die gesamte Schulzeit in Tunesien verbringen sollen. Anis ist zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt. Er verbrachte sieben Jahre in Tunesien, also wesentlich mehr als die mindestens vier Jahre, die von den Zürcher Behörden genannt wurden.

Wie Anis' Mutter schreibt, sei er sehr glücklich gewesen, als die Familie die Rückkehr in die Schweiz beschloss.

Die siebenköpfige Familie zieht in eine enge 3-1⁄2-Zimmer-Wohnung am Stadtrand von Zürich, wo sie sich wohlfühlt. Anis kommt in eine Aufnahmeklasse und zeigt gute Leistungen. Er wird in die Sek A eingestuft, das höchste Oberstufenniveau im Kanton.

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Doch im Sommer 2022 muss die Familie auf Druck des Migrationsamts in eine grössere Wohnung umziehen. Die Mutter müsste sonst die Schweiz verlassen. Sie ziehen ins Zürcher Unterland, im Wohnblock sind sie die einzige Familie mit Kindern. Bald schon entstehen Probleme mit einer Nachbarin, die sich von dem Lärm der Kinder gestört fühlt. Die Kinder hätten Angst vor ihr gehabt, wie die Mutter schreibt. Die Nachbarin schreit die Kinder an, Anis ist sehr aufgebracht.

An der neuen Schule wird er gemobbt. Einige Jugendliche haben sich zu einer Bande zusammengeschlossen, Anis hat sogar Angst, in der Schule aufs WC zu gehen. Seine Leistungen verschlechtern sich und er wird in die Sek B eingeteilt, fällt in ein Loch.

Anis sehnt sich nun nach seiner Familie in Tunesien. Die Mutter schreibt, er habe zu dieser Zeit das Haus nicht mehr oft verlassen und sei immer am Handy gewesen.

Gut ein Jahr vor der Tat beginnt er täglich zu beten. Laut seiner Mutter habe er jedoch nicht mal im Ramadan gefastet, nichts habe auf eine Radikalisierung hingewiesen. Doch Anis hat keine Freunde in der Schweiz, nur online. Er beschäftigt sich zuerst exzessiv mit Games und wendet sich dann islamistischen Inhalten zu.

Autismus-Verdacht

Auch als Kind hat Anis gemäss seiner Familie gezeigt, dass er sich intensiv mit etwas beschäftigen kann. Über Dinosaurier, Astronomie und den Zürcher ÖV-Fahrplan habe er alles gewusst, bis ins Detail.

In den Monaten vor der Tat sollen sich bei Anis verstärkt «autistische Züge» gezeigt haben. Er sei in der Wohnung ständig hin und her gelaufen, schreibt seine Mutter. Sein Onkel nennt es eine «innere Unruhe».

Anis verhalte sich in der Öffentlichkeit, als wäre er allein, spreche mit lauter Stimme und grüsse niemanden, so die Mutter. Weiter habe er motorische Schwierigkeiten, könne sich nicht die Schuhe binden und habe Mühe, Brot zu schneiden. Darum konnte die Familie zunächst nicht glauben, dass er für das Attentat verantwortlich ist.

Schulpsychologisch wurde Anis nie abgeklärt. In Haft wird er nun forensisch psychiatrisch begutachtet. Er befindet sich in einer geschlossenen Einrichtung für Jugendliche.

(rbu)

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Quelle: watson
veröffentlicht: 30. April 2024 12:13
aktualisiert: 30. April 2024 12:13