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Foto: David von Becker
Schweiz am Wochenende

Warum Berliner Studenten das Gedicht eines Schweizers von ihrer Schule entfernen wollen

Das spanische Gedicht eines Schweizers an einer Berliner Hochschule soll weg. Es entwürdige die Frauen.

Der alte Mann und die Wand – so könnte man diese Geschichte umschreiben. Der alte Mann heisst Eugen Gomringer, geboren 1925, Sohn eines Schweizers und einer Bolivianerin. Der Mann gilt als Begründer der Konkreten Poesie; sein Wirken entfaltete sich vor allem in Deutschland.


In Berlin gewann Gomringer 2011 den Poetikpreis der Alice-Salomon-Hochschule. Ihm zu Ehren entschied die damalige Rektorin, Theda Borde, Gomringers Gedicht «avenidas» («Alleen») auf die Fassade der Schule zu malen. Nun fordert ein Ausschuss von Studierenden, das Gedicht müsse weg. Es sei sexistisch. Die Hochschule überlegte und beriet – unakademisch ausgedrückt: Man hatte erst mal die Hosen voll. Das Poem, sagt die Schule jetzt, nach reiflicher Überlegung, könnte man in einen kritischen Kontext stellen, statt es weiss zu überpinseln. Gomringer müsste aber gefragt werden. Alle Achtung, das ist kühn – den Greis könnte darob ja glatt der Schlag treffen.

Das Gedicht lautet übersetzt: «Alleen / Alleen und Blumen / Blumen / Blumen und Frauen / Alleen / Alleen und Frauen / Alleen und Blumen und Frauen und / ein Bewunderer.» Alle Achtung, das ist originell.

Aber nicht die mässige Originalität beklagte der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) in einem offenen Brief, sondern die klassische patriarchale Kunsttradition, die darin stecke. Laut einem Bericht der «Welt» hiess es im offenen Brief, das Gedicht erinnere «unangenehm an sexuelle Belästigung, der Frauen* alltäglich ausgesetzt sind.» Das Sternchen bei «Frauen*» ist korrekt zitiert; es soll Offenheit markieren gegenüber Transsexuellen.

Stossend sei das Gedicht auch, weil es «daran erinnert, dass wir uns als Frauen* nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne für unser körperliches ‹Frau*-Sein› bewundert zu werden. Eine Bewunderung, die häufig unangenehm ist, die zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führt.» Ziemlich vertrackte Sätze in einer Epistel, die Sprachkritik übt: «... die zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führt.»

Die Gegenseite folgte dem Beispiel insofern, als der heutige Rektor der Hochschule, Uwe Bettig, zur «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» sagte, er teile die Ansicht der Studierenden «in keinster Weise», Tatsache sei aber, dass einige Frauen sich durch Gomringers Gedicht herabgesetzt fühlten.

Alle Achtung – «in keinster Weise»: Weiss in Deutschland ein Hochschul-Rektor tatsächlich nicht, dass sich «in keiner Weise» nicht steigern lässt, in irgendeinster Weiseste? Politisch korrekt sprechen, aber kein Deutsch können – man muss sich am gegenwärtigsten offenbar entscheiden.

Jetzt auf

Zurück zu Gomringer, zurück zu den Blumen, Alleen und Frauen: Nun soll der Alte also Hand bieten für eine weniger schweinische Version. Rektor Bettig gibt zu bedenken: «Vielleicht ist im Verlauf zur (Neu-)Gestaltung der Fassade ja ein Kompromiss realisierbar. Dieser sieht vor, das Gedicht zu erhalten und die Kritik daran in künstlerischer Form zur Geltung zu bringen, das Gedicht also in einen Kontext zu setzen.»

Damit könnte Bettig eine Kulturlawine lostreten: Alle Stellen in allen Gedichten und Filmen, Romanen, Opern, Seifenopern, überall, wo eine Frau herabgewürdigt wird mit einer schmutzigen Blumenmetapher, müssten künftig «in einen Kontext gesetzt» werden. Natürlich auch Studiofilme, gefeiert in jeder Studenten-WG, etwa Wim Wenders’ «Buenavista Social Club». Darin psalmodieren alte Helden wie Gomringer: «Oh die Musik, die Blumen, die Frauen!» Okay, das waren olle Kubaner, keine Deutschest-Gerechte. Darum müsste am Schluss Bettig korrekterweise noch die Blumen* selber fragen: «Sagt mir, wo die Frauen sind, mit deren Vergleich sie euch beleidigen.»

von Max Dohner

Quelle: Schweiz am Wochenende
veröffentlicht: 2. September 2017 05:45
aktualisiert: 2. September 2017 05:45