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Oh, mein Birchermüesli – eine Liebeserklärung

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Foto: Pixabay
Schweiz am Wochenende

Oh, mein Birchermüesli – eine Liebeserklärung

Birchermüesli ist Kindheitserinnerung, Heimatgefühl und Gaumen-Renner. Eine Liebeserklärung.

Es war mir ziemlich egal, ob die Babysitterin mir das abkauft oder nicht. Ich hab dieser 17-Jährigen mit allem Trotz, den ich aufbringen konnte, zu verstehen gegeben, dass ich ohne Müesli nicht ins Bett gehe. Widerwillig schüttete sie Haferflocken in eine Schüssel, gab einen Löffel Joghurt dazu und Schnitt lieblos einen Apfel klein. Das war wahrlich nicht das, was sich bei uns daheim ein Birchermüesli nannte. Trotzdem löffelte ich mit leuchtenden Augen die trockene Pampe. Dass ich sie angelogen habe, hat sie nie erfahren.

Der Haferflocken-Kickstarter begleitet mich seit meiner Kindheit und hat mich etwas pathetisch ausgedrückt vielleicht auch zu dem gemacht, was ich heute bin.

Bei uns zu Hause gab es Birchermüesli nur sonntags. Am Tag, an dem wir alle gemeinsam frühstückten. Meine Mutter bereitete das Müesli schon am Abend davor zu. Schliesslich müssen die Flocken ein wenig einweichen. Bestes Joghurt (vollfett, nix light!), meist mit Roten Johannisbeeren – ein traumhafter Kontrast zum süssen Rest, gezuckert mit Honig oder selbst gemachter Marmelade. Das Müesli überlebte nie bis zum nächsten Tag. Unsere Löffelspuren in der Glasschüssel waren markant. Doch das konnte Mama mit den Bananen wettmachen, denn die Bananen – um Gottes willen die Bananen – erst kurz vor dem Anrichten dazugeben!

Unser Nationalstolz

Zum Birchermüesli hat jeder Schweizer eine Meinung. Entweder erinnert es ihn an Kindertage, an denen penibel Rosine für Rosine herausgepickt wurde. Ernsthaft: Gibt es wirklich Kinder, die ohne Zwang und gutes Zureden Weinbeeren mögen? Oder man kommt mit dem Schweizer Original im Ausland in Berührung. Und führt sich dann patriotisch, äh «tüpflischisserisch», äh stolz auf. Der Moment, an dem in irgendeinem fernen Land beim Zmorge-Buffet ein Schildchen mit «Birchermüsli» prangt, schmerzt noch vor dem Gaumen die Augen und die Ohren des Schweizers. Und zwar weil dem Müsli das «e» fehlt und wir doch kein Nagetier zum Frühstück wollen. Nach dem ersten Kopfschütteln muss er probieren, er kann es nicht lassen. Ein bisschen Freude ob der Heimat auf dem Teller, und der Hoffnung, bleibt. Aber nur eine Mini-Portion schöpfen (schmeckt bestimmt nicht gut). Er rümpft die Nase, findet die Flocken zu aufgeweicht, das ganze zu süss und muss wieder einmal mehr im Leben den Satz sagen: «Selbstgemacht schmeckt es einfach besser.» Das ist Birchermüesli-Narzissmus.

Es ist wirklich schwer vorstellbar, dass jemand die Joghurt-Sahne-Pampe nicht mag, aber diese Genuss-Verkenner bekommen jetzt eine zweite Chance das Nationalgericht lieben zu lernen. Denn das Birchermüesli erfährt gerade ein Revival und wird neu aufgetischt.

Derzeit gibt es keine Grenzen bei der Müesli-Kreativität: Mangomus, Kokosflocken, gepuffter Amaranth, gedörrte Cranberrys, Mandelmilch und natürlich Chiasamen on top.

Müesli ist nicht gleich Müesli

Der Vorläufer wurde schon um 1900 von Hirten in der Alpenregion gegessen und durch den Arzt Maximilian Oskar Bircher-Benner in der ganzen Welt als Schweizer Brei bekannt. Bircher-Benner nannte seine «Apfeldiätspeise» (Haferflocken, Apfel und Kondensmilch) kurz «d’Spys». Ihm ging es dabei um den mit der Raffel geriebenen Apfel, nicht um das Getreide. Wenn der Doktor wüsste, das Müesli heute vor allem eine gezuckerte Getreidemischung ist. Spätestens seit wir alle wissen, wie viel Zucker in den fertigen Müesli-Mischungen steckt, sollten wir sie selber zubereiten. Das ist einfach, wesentlich gesünder und die Küche duftet noch dazu herrlich nach geröstetem Getreide. Vielen sind gewöhnliche Haferflocken schlichtweg zu langweilig, gut, findet man im Netz einfache Rezepte, um Granola selber zu machen. Das ist nicht schwer, braucht aber ein wenig Zeit. Wie sagte doch Mama, als ich sie das erste Mal nach dem Familien-Birchermüesli-Rezept fragte? «Du kannst das nicht schnell, schnell machen. Gib dir Mühe, sonst wird es wie alles nicht fein.»

Wie gesund Müesli sind, wissen nicht nur Eltern, sondern das bestätigt auch die Ernährungswissenschaft. Frühstück, das belegen zahlreiche Studien, ist gesund und liefert Energie. Und Hafer gilt als eines der gesündesten Getreide – reich an Ballaststoffen, B-Vitaminen, Eiweiss, Eisen und viel mehr.

Gibt es nun wirklich noch jemanden, der nichts vom Birchermüesli hält?

Dieses Wochenende bin ich wieder einmal zu Hause. Zum Glück steht die grosse Birchermüesli-Schüssel schon am Vorabend im Kühlschrank.

Quelle: Schweiz am Wochenende
veröffentlicht: 7. Mai 2017 08:00
aktualisiert: 7. Mai 2017 08:04