Unbeliebte Sprache

Zürcher haben keine Lust mehr auf Russisch – Gymischüler aber erst recht

Der Angriff Russlands auf die Ukraine schreckt ab. Die Nachfrage nach Russischkursen ist an der Volkshochschule Zürich in der Folge eingebrochen. In Gymis steigt das Interesse für die Sprache hingegen.

Unberührt liegen das Buch und die CD in einer Ecke. Das zweite Jahr in Folge. Die Russischlehrmittel erhielt die Zürcherin 2021 zu Weihnachten – schon immer hatte sie die Sprache lernen wollen. Die Sprache, aber auch die russische Kultur faszinierte sie. Auch träumte sie von einer Reise nach Moskau.

Doch seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine ist der Zürcherin jegliche Lust auf Russisch vergangen, geschweige denn, einen Fuss in das Land zu setzen.

Ähnlich ergeht es Zürcherinnen und Zürchern, die Russisch in einem Kurs lernen wollten. Die Nachfrage nach Russisch-Kursen sei rückläufig, sagt Aurel Jörg, Leiter Kommunikation der Volkshochschule Zürich zu ZüriToday. «Seit dem Angriffskrieg ist sie um rund 22 Prozent gesunken.»

Bei Anfängerkursen harzten Anmeldungen

Der Angriffskrieg hat laut Jörg die Nachfrage nach Russisch-Kursen gedrückt. Grund dafür sei auch, dass Reisen nach Russland auf Eis gelegt würden.

«Vor allem bei den Russisch-Kursen für Anfängerinnen und Anfänger harzen die Anmeldungen», sagt Jörg. Bei den verbliebenen Russisch-Studierenden handle es sich um langjährige und treue Kunden. «Oft seien die grösste Motivation das Interesse am Land und geplante Reisen.»

Andere Sprachen wie Englisch, Italienisch und Japanisch sind an der Volkshochschule Zürich dagegen umso gefragter. Jörg: «Viele Menschen reisen mehr und lernen deshalb die unterschiedlichsten Sprachen bei uns.»

Beliebtes Freifach

Nach wie vor auf ähnlichem Niveau bewegt sich die Nachfrage nach Russisch in Zürcher Gymis. Etwa an der Kantonsschule Enge können Schülerinnen und Schüler die Sprache als Schwerpunktfach wählen.

Über die Jahre hinweg entschieden sich jeweils zwischen vier und zwölf Schülerinnen und Schüler für das Profil, sagt Thomas Schmidt, Russisch- und Englischlehrer an der Kantonsschule Enge sowie Präsident des Vereins der Russischlehrerinnen und Russischlehrer in der Schweiz (VRUS). Aktuell seien es in der ersten Klasse vier Schülerinnen und Schüler. Häufig belegten auch solche aus Mischehen mit einem russischsprachigen Elternteil das Profil.

Im Freifach Russisch fallen Schmidt sogar mehr Anmeldungen auf. «Dieses besuchen unter anderem Schülerinnen und Schüler, die sich vom Üblichen abheben wollen.» Trotz oder gerade wegen des Kriegs und des schlechten Rufs sei für sie die Sprache und Kultur teilweise erst recht von Interesse.

Reise nach Riga statt nach Russland

Auf einen Sprachaustausch in Russland verzichten die Kantonsschulen seit dem Ukraine-Krieg aber. «Das letzte Mal reisten wir stattdessen nach Riga», sagt Thomas Schmidt. Auch dort spreche eine grosse Minderheit Russisch. Es gelte dann aber auch, der örtlichen lettischen Kultur Rechnung zu tragen.

Der VRUS-Präsident kann gut nachvollziehen, dass Russisch als Hobby für viele Menschen in der Schweiz unvorstellbar geworden ist. So sei in der Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegszeit Deutsch als Fremdsprache auch unbeliebt gewesen. «Wer einen Russischkurs an der Volkshochschule belegen wollte, verband die Sprache ursprünglich mit etwas Positivem wie Reisen und Kultur.»

«Die Sprache kann nichts dafür»

Dennoch würde Schmidt davon abraten, die Russisch-Lehrmittel zu entsorgen. «Die Sprache kann nichts dafür.» Wolle niemand mehr Russisch lernen, gingen sämtliche Angebote der Nischensprache verloren. «Das wäre für eine Sprache, für die man in der Schweiz schon immer kämpfen musste, in Zukunft gravierend.» Auch könne die Schweizer Gesellschaft Russland nicht gänzlich ausklammern. «Die russische und die westliche Kultur haben sich schon immer gegenseitig beeinflusst.»

Hoffnung gibt ihm die Preisverleihung an Dorothea Trottenberg. Sie erhielt für ihre vom Russischen ins Deutsche übersetzten Werke den Spezialpreis des Grand Prix Literatur 2024. «Ihre Auszeichnung ist doch auch ein Zeichen, dass heute hierzulande zwischen repressiver, menschenverachtender Politik und Kultur subtiler als zu Beginn des Kriegs unterschieden wird.»

Quelle: ZüriToday
veröffentlicht: 23. Februar 2024 07:59
aktualisiert: 24. Februar 2024 01:03