Seegfrörni vor 60 Jahren

«Man konnte sich auch mal verlaufen auf dem See»

Während kleinere Seen immer wieder zufrieren, ist das bei grösseren Seen ein seltenes Naturschauspiel. Eine Seegfrörni auf dem Zürichsee gab es letztmals vor 60 Jahren. Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten von ihren Erlebnissen.

Am 24. Januar 1963 war der Zürichsee von Schmerikon am Obersee bis Zürich durchgehend zugefroren. Am 1. Februar 1963, also vor genau 60 Jahren, wurde die Eisfläche um 12 Uhr mittags für die Bevölkerung offiziell freigegeben. 100'000 Zürcherinnen und Zürcher strömten zum Schlittschuhlaufen, Flanieren oder Hockeyspielen auf das Zürichsee-Eis. Diese Bilder sind unvergessen, und das Ereignis selbst legendär. Es war seither das letzte Mal, dass es zur Seegefrierung oder sogenannten «Seegfrörni» des Zürichsees kam.

Abkürzung Arbeitsweg über den gefrorenen Zürichsee

Margret Biedermann war damals 21 Jahre alt und erinnert sich, dass der See sich nur an ganz wenigen Stellen zum Schlittschuhlaufen geeignet hat. «Ich habe damals in der Enge gewohnt und musste zur Arbeit ins Seefeld. Also nahm ich den direkten Weg über den zugefrorenen See. Mit ganz normalen Schuhen, denn das Eis war sehr holperig und nicht «schlipfrig» genug für Kufen.»

Im Strandbad Mythenquai habe sie sich auf den Weg zur Arbeit gemacht. Und sei einmal gar viel zu weit gelaufen und im Bahnhof Tiefenbrunnen gelandet, statt im Seefeld. «Man konnte sich schon mal verirren auf der grossen Eisfläche.»

Quelle: CH Media Video Unit / Melissa Schumacher

Das bunte Treiben auf dem See sei aber schon eindrücklich gewesen: «Es gab alles mögliche zu sehen: Familien mit ihren Kindern auf Schlittschuhen oder mit Kinderwagen, Bratwürste wurden gebraten, Grogg ausgeschenkt – und es gab diverse Stände. Das untere Seebecken war fast wie ein Jahrmarkt.»

Nur an wenigen Stellen sei das Eis präpariert gewesen und man konnte gut Eislaufen. «Ich habe das Ganze in sehr schwarz-weisser Erinnerung, so viele Menschen auf dem grossen, weissen Eis.» Nach ungefähr einem Monat war es zu Ende. «Ich hatte die Zeit genossen, aber war nicht enttäuscht wie manch grosser Fan der Seegfrörni.», sagt Margret Biedermann.

«Aufregend, faszinierend und sonderbar fremd»

Alexander Schoeffel hat die Seegfrörni als knapp 12-jähriger Fünftklässler erlebt. Und erzählt, dass dieser Winter 1963 «aufregend, faszinierend und sonderbar fremd» für ihn gewesen sei. Es habe sogar Maroni-Buden gegeben und er wunderte sich, «dass es möglich war, auf dem Eis die Öfen zu betreiben.» Beim Hafen Enge, wo sonst die Schiffe vertäut waren, konnte man nun zu Fuss auf den See und «mit einem etwas mulmigen Gefühl am Löwendenkmal vorbei- und weiter hinausspazieren!»

Flanieren während der Seegfrörni 1963
Foto: Keystone-SDA

Doch die Unsicherheit habe ihn selten losgelassen, so Alexander Schoeffel. Nur manchmal beim Eishockeyspielen in den freigegebenen Schulstunden, vergass er zeitweise die Tatsache, dass unter ihm tatsächlich der Zürichsee war.

«Man musste sich die Kufen anschrauben»

Cécile Dünner aus dem Zürcher Seefeld ist auch Zeitzeugin und hat die Seegfrörni 1963 als Kind hautnah miterlebt, allerdings auf dem Mauen- und dem Sempachersee im Kanton Luzern.

«Ich hatte das grosse Glück, die Seegfrörni auf dem Mauensee und dem Sempachersee zu erleben. Da meine Familie in dieser Zeit über kein Auto verfügte, fuhren wir bei Eiseskälte mit dem Velo von Sursee bis zum Mauensee. Das dauerte etwa 30 bis 40 Minuten pro Weg.»

Sie hätte damals als 14-Jährige noch keine Schlittschuhstiefel gehabt, und musste die Schlittschuhe an den sogenannten «Bergschuhen» anschrauben. Es brauchte also alles ein bisschen Zeit, «bis wir uns auf das Eis bewegen konnten.»

Wer in den 60er Jahren noch keine Schlittschuhstiefel hatte, musste sich diese Eisen an die Schuhe schrauben. 

Für die drei Schwestern war ein schwarzer, zugefrorener See, ideal zum Fahren. Wenn gar kein Schnee auf dem See lag, habe man sich richtig gut darauf bewegen können. «Wir waren auch auf dem Sempachersee, aber der brauchte etwas länger bis er zugefroren war. Da musste es mindestens zehn Tage hintereinander, Tag und Nacht, gute -5 bis -10 Grad sein.»

Mit ihren Schwestern amüsierte sich Cécile 1963 beim Schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen See.

Foto: Cécile Dünner

Für Cécile Dünner war die Seegfrörni 1963 absolut ein grosses Ereignis. Sie verbrachte an den Wochenenden und der schulfreien Zeit dort ganze Nachmittage auf dem Eis. «In dieser Zeit, also in den 60er- und 70er-Jahren, hatten wir generell viel mehr kalte und schneereiche Winter. Ich weiss nicht ob wir das nochmals erleben werden, aber ich glaube, das Klima hat sich definitiv verändert!»

Quelle: ZüriToday
veröffentlicht: 31. Januar 2023 15:57
aktualisiert: 31. Januar 2023 16:46