Zürich
Stadt Zürich

Letzigrund-Anwohnende nerven sich über ÖV-Ausfälle und Krawalle wegen Fussballspielen

Ausfälle wegen Fussballspielen

«Jedes Bergtal hat einen zuverlässigeren ÖV als der Zürcher Kreis 9»

Fussballspiele im Letzigrund bringen stets Verkehrseinschränkungen mit sich, was auch den ÖV betrifft. Anwohnende wie Anja* ärgern sich aber nicht nur darüber, dass sie «systematisch nicht befördert» werden. Auch Krawalle rund um die Spiele seien ein grosses Problem.

Teilweise sei es «wie im Krieg», schildert die ZüriReporterin Anja die Situationen, welche sie als Anwohnerin in der Nähe des Letzigrundes erlebt. So sei es beim Einsatz von Tränengas gegen gewaltbereite Zuschauende bereits dazu gekommen, dass der Reizstoff in Wohnungen gelangte und die Bewohnenden nicht mehr lüften könnten. Dass Chaoten durch Gärten rennen, sei auch schon vorgefallen.

Viele ihrer Nachbarinnen und Nachbarn seien verängstigt durch die Zustände und trauen sich nicht, sich öffentlich dagegen zu äussern. Anja selbst wurde schon tätlich angegriffen nach einer Konfrontation mit einem Stadionbesucher im Tram. Dies geschah noch vor dem Februar 2022, als die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) die Notbremse zogen und den Betrieb von Trams und Bussen bei Fussballspielen im Letzigrund einschränkten.

«Einkaufen oder Abmachungen einhalten wird unmöglich»

Die Massnahme galt für die Linien 2, 3 und 31. Sie verkehrten kurz vor Spielende jeweils für eine Stunde nicht mehr in Stadionnähe. Auf die Saison 2023/24 wurden die Einschränkungen zwar gelockert, Anja spürte davon allerdings nichts. So sei nicht einmal eine Ausweichplanung möglich, «auch wenn wir Anwohnenden vor jeder Tramfahrt zuerst den aktuellen Fahrplan konsultieren».

Einkaufen am Samstag sei so beinahe unmöglich, sagt Anja. Auch rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen oder Abmachungen einzuhalten, werde unter diesen Umständen zur Herausforderung. «Und Tickets für Veranstaltungen in der Innenstadt verfallen, weil wir nicht befördert wurden.» Entschädigungen dafür oder aufgrund nicht verkehrender Trams und Busse gibt es nicht – was für Anja aber auch keine zufriedenstellende Lösung wäre.

Stadtregierung zum Handeln aufgefordert

Die Anwohnerin fordert, dass die Stadtregierung eingreift und die Departemente für Sport und Sicherheit gemeinsam mit den VBZ eine Lösung finden. Die Massnahmen des Projekts Doppelpass, das eine gute Zusammenarbeit zwischen der Stadt, den Fussballclubs und weiteren Institutionen garantieren soll, funktioniere nicht.

«Mit diesem verantwortungslosen Verhalten schadet die Stadtregierung einer Vielzahl von Wählenden und auch dem eigentlich schönen Spiel enorm», sagt Anja. Sie betont, dass sie nichts gegen Fussball hat. Aber das Verhalten der chaotischen «Fans» ist für sie haltlos. Sie sieht das Problem vor allem beim FCZ und fordert deshalb auch vom Vereinspräsidenten Ancillo Canepa, dass er sich klar gegen die problematischen Zustände positioniert.

«Die ÖV-Situation ist unhaltbar»

Christine Huber, GLP-Gemeinderätin und selbst Anwohnerin in Stadionnähe, brachte die Kritik bereits aufs politische Parkett mit einer entsprechenden Anfrage an den Stadtrat. «Die ÖV-Situation ist für uns Quartierbewohner seit fast zwei Jahren unhaltbar, wenn Fussball gespielt wird», sagt Huber auf Anfrage von ZüriToday. Das erstaune umso mehr, weil Polizei und VBZ bei Stadionkonzerten mit bis zu 50'000 Leuten regelmässig unter Beweis stellen, dass sie für Verkehrssicherheit und stabile ÖV-Verbindungen sorgen können – «vorausgesetzt, der Wille ist vorhanden».

«Jedes Bündner Bergtal verfügt an Wochenenden über einen zuverlässigeren ÖV als der Stadtzürcher Kreis 9», kritisiert Huber. Notabene sei nicht nur die direkte Anwohnerschaft an Spieltagen vom eingeschränkten Tram- und Busbetrieb betroffen, «sondern zum Beispiel auch der Dorfkern von Albisrieden, der zwei Kilometer vom Stadion entfernt ist».

Neue Fussballsaison bringt keine Besserung

Zum Beginn der Fussballsaison 2023/24 erfuhren die ÖV-Einschränkungen bei Spielen im Letzigrund gewisse Lockerungen. Es könne zwar weiterhin zu Unterbrüchen der Tramlinien 2 und 3 nach Spielende kommen, teilte der Stadtrat im Juli 2023 mit. Der 31er Bus werde jedoch wieder im normalen Fahrplan verkehren und die Tramlinie 3 werde zeitlich reduziert eingeschränkt. Diese Änderungen seien jedoch «kaum spürbar», sagt Huber.

Scan den QR-Code

Du willst keine News mehr verpassen? Hol dir die Today-App.

Wegen der Ausschreitungen rund um Fussballspiele appelliert Huber an die Verantwortung der Vereine. Diese müssen sich bewusst sein, dass das Letzigrund der grösste Jugendtreff der Stadt sei. Bei Fehlverhalten dürfen die Vereine nicht wegschauen, «sondern sich mit klaren Worten und Sanktionen distanzieren».

«Das bestehende Regime ist die bestmögliche Variante»

Die VBZ rechtfertigen die anhaltenden ÖV-Einschränkungen damit, dass es für Fahrgäste und das VBZ-Personal nach Fussballspielen im Letzigrund immer wieder zu kritischen Situationen gekommen sei. «Die Massnahmen werden von der Stadt, der Stadtpolizei und den betroffenen Fussballclubs mitgetragen», erklärt VBZ-Mediensprecher Leo Hermann gegenüber ZüriToday. Sie seien auch abgesprochen mit dem Bundesamt für Verkehr.

«Sollte sich die Situation ändern, werden die VBZ das weitere Vorgehen prüfen und entsprechende Massnahmen ergreifen», sagt Hermann. So entstanden auch die Lockerungen zum Start der Fussballsaison 2023/24, womit sich die Situation für die Anwohnenden verbessert habe.

Die VBZ hätten mögliche Alternativen zum bestehenden Regime geprüft. Doch im Einklang mit den involvierten Partnern aus Behörden und Fussballvereinen sei man zum Entschluss gelangt, «dass die gewählte Variante für die Fahrgäste, Anwohnerinnen und Anwohner, Fussballfans und das VBZ-Personal selbst die bestmögliche» sei. «Die VBZ bedauern die Unannehmlichkeiten und danken der betroffenen Bevölkerung in den angrenzenden Quartieren für ihr Verständnis.»

Stadtrat schmettert verschiedene Änderungsvorschläge ab

In der Anfrage von Christine Huber und Beat Oberholzer (GLP) an den Stadtrat bringen die beiden verschiedene Ansätze zur Sprache, welche die ganze Situation verbessern sollen. Unter anderem schlagen sie Ersatzbusse für die Linien 2, 3 und 31 vor. Laut dem Stadtrat ist diese Möglichkeit allerdings nicht erfolgsversprechend, da Ersatzbusse zu wenig Kapazität bieten und das Sicherheitsproblem damit einfach an einen anderen Ort verschoben würde.

Ein anderer Vorschlag besteht darin, Zuschauende bei einem sogenannten Fanrückhalt nur gestaffelt aus dem Stadion zu lassen. Der Stadtrat hält dies für unpraktikabel, da es «die zur Rede stehende Problematik nur um einige Minuten verschieben» und eine Dosierung der Auslassphase für den Veranstalter mit grossem Aufwand verbunden wäre.

*Name geändert

Quelle: ZüriToday
veröffentlicht: 19. September 2023 07:14
aktualisiert: 19. September 2023 07:14