Eine Oase in Zürich

Im Schlauch scheint die Zeit stehen geblieben zu sein

Das Kult-Lokal Cooperativo am Stauffacher schliesst nach über 100 Jahren Betrieb seine Tore. Es gibt sie aber immer noch, die alten Zürcher Lokale, in denen die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. So auch der Schlauch im Niederdorf. ZüriToday-Redaktorin Olivia hat dem Lokal einen Besuch abgestattet.

Zum ersten Mal im Schlauch war ich mit etwa 16 Jahren. Zum Billardspielen mit Freunden. Auch meine Mutter, Jahrgang 1960, hat dem Schlauch in diesem Alter den ersten Besuch abgestattet. Bis heute scheint im Lokal mitten im Zürcher Niederdorf die Zeit stehen geblieben zu sein. «Bei uns hat sich in den letzten 30 Jahren wenig verändert», sagt auch Rolf Weingand, als ich ihn an einem Dienstagmorgen kurz vor dem Mittag im Schlauch besuche. Seit 1989 führt er das Lokal gemeinsam mit seiner Frau Gabi Schnepf. Seit Beginn weg setzen sie auf biologische Vollwertküche, «unsere Gäste schätzen das.»

Zeit läuft langsamer

Nicht nur beim Essen blieb im Schlauch vieles beim Alten. Auch dem Billard ist man treu geblieben und bei Renovationen war man stets darum bemüht, diese sanft vorzunehmen. «Immer wieder kommen Gäste zu uns und staunen, dass es noch genau gleich aussieht, als sie das letzte Mal vor 20 Jahren hier waren», erzählt Weingand. Der Schlauch sei wie eine Heimat, «da kann man noch leben, da kann man noch daheim sein.»

«Wunderbar unprätentiös»

Ich lasse meinen Blick über das Mobiliar im noch leeren Lokal schweifen. Der Laden hat Patina, denke ich mir, als mir auffällt, wie ruhig es hier ist. Und das, obwohl sich der Schlauch mitten im Niederdorf befindet. «Manchen Gästen ist es hier fast zu ruhig, die meisten schätzen aber die Ruhe», erzählt Weingand. So auch eine Familie, der ich auf der kleinen Terrasse begegne. Mittlerweile wohnen sie im Kanton St.Gallen. Wann immer sie in Zürich sind, kommen sie in den Schlauch. An diesem Dienstagmittag, um den Geburtstag ihres Enkels zu feiern. «Der Schlauch ist so wunderbar unprätentiös», meinen sie.

Cafeé Schlauch Zürich (16)
Foto: ZüriToday

Viele der Gäste, die den Schlauch besuchen, kommen wieder. Weingand schätzt, dass die Stammgäste 80 Prozent ausmachen, «da baut man auch eine Beziehung auf.» Immer mal wieder verirren sich aber auch neue Gäste in den Schlauch.

Ich begegne einem Ehepaar, das gerade auf dem Campingplatz in Wollishofen in den Ferien ist. Sie haben das Lokal per Zufall entdeckt und das, obwohl der Schlauch eigentlich eher versteckt ist. Vom Niederdorf her führt der Weg in den Schlauch durch ein Treppenhaus. «Das ist aber nicht nur schlecht», meint Weingand.

Eine Oase für alle

Auch mir scheint es, als ob es vielleicht auch die Lage ist, die den Schlauch zu einer solchen Oase mitten in Zürich macht. Hier scheint die Zeit ein wenig langsamer zu laufen.

Kurz vor 12 Uhr strömen immer mehr Gäste in den Schlauch. Weingand tauscht sich mit ihnen aus und ich stelle meine letzte Frage. «Wie würden Sie Ihre Gäste beschreiben, wer kommt in den Schlauch?», frage ich ihn und ernte ein wie aus der Pistole geschossenes «alle». «Die einen für das Essen, die anderen für eine Partie Billard und das aus allen Schichten und Altersgruppen», fügt Weingand an.

Ein gutes Schlusswort, wie ich finde. Ich werde auch wieder kommen. Für ein Glas Wein auf der Terrasse oder ein Essen. Oder einfach, um die Ruhe und die Atmosphäre zu geniessen. In die Oase abzutauchen.

Quelle: ZüriToday
veröffentlicht: 4. Juni 2023 11:29
aktualisiert: 6. Juni 2023 09:39