Ausstellung in Zürich

«Finde es sehr traurig, dass jemand einen solchen Satz schrieb»

Ausgerechnet in einer Ausstellung zum Thema Kolonialismus der Stadt Zürich kritzelte eine Person eine diskriminierende Botschaft. Für Ausstellerin und SP-Gemeinderätin Yvonne Apiyo Brändle-Amolo zeigt das Gekritzel «etwas in aller Deutlichkeit».

Frau Brändle-Amolo*, Sie beteiligen sich mit einem Kunstwerk an der aktuellen Ausstellung «Blinde Flecken – Zürich und Kolonialismus» im Zürcher Stadthaus. Wie kommt die Ausstellung bei den Besucherinnen und Besuchern an?
Ich habe sowohl Gruppen aus der Schweiz als auch solche aus dem Ausland durch die Ausstellung geführt. Die Reaktionen waren alle gleich: Sie lobten, dass sie zum Nachdenken anregt und zur Selbstreflexion führt. Besonders die Spiegel mochten sie, weil sie dort lesen konnten, was andere Leute unternehmen wollen, um antirassistisch zu handeln.

Auf dem Spiegel stand aber auch: «Wer das liest, ist gay». Was löst ein solches Gekritzel bei Ihnen aus?
Ich finde es sehr traurig, dass eine Person einen solchen Satz schrieb. Zugleich finde ich es aber auch penibel, weil es repräsentiert einen Teil unserer Gesellschaft, die so denkt. Ich verstehe, dass jeder ein Recht auf seine Meinung hat. Problematisch wird es, wenn die Meinung Intoleranz und Diskriminierungen fördert, die sich gegen marginalisierte Menschen richten. Wir sind in der Schweiz noch nicht da, wo wir hin wollen – das zeigt die Person mit dem Satz in aller Deutlichkeit.

Wie merken Sie das in der Schweiz sonst noch?
Viele Menschen haben das Rassismusproblem nach den Black-Lives-Matter-Demos im Zusammenhang mit dem Tod von George Floyd abgehakt, weil in den Schweizer Medien einige Artikel über Racial Profiling und Rassismus geschrieben wurden und darüber gesprochen wurde. Etwas, was wir noch nie zuvor in der Öffentlichkeit getan hatten. Während der Messevorbereitungen spürten wir auch Gegenwind. Vertreter aus Politik und Gesellschaft etwa hielten die Ausstellung für überflüssig. Manchen fällt es schwer, die romantisierten Geschichten über die Schweiz loszulassen, die behaupten, die Schweiz sei nicht in den Sklavenhandel verwickelt. Das Gekritzel auf dem Spiegel repräsentiert die meisten Ansichten in der Schweiz. Wäre der Gegensatz nicht auch in der Ausstellung selbst spürbar, würde sie nicht die echte Schweiz und das echte Zürich abbilden.

Der mittlerweile entfernte Satz und weitere Kritzeleien erinnern an das Gekritzel an den Wänden von Jugendräumen oder Schultoiletten. Könnten Sie einer Schülerin oder einem Schüler einen solchen Satz verzeihen?
Es wäre besser, wenn wir diese hasserfüllten Kritzeleien nicht hätten, aber das ist ideologisches Denken. Mir wäre es lieber, wenn die Kritzeleien nicht von Jugendlichen stammen würden. Einige Menschen der älteren Generation haben eine festgefahrene Meinung, zumal sie nie Kontakt zu Menschen aus anderen Kontinenten hatten. Aber die Jugend ist vielfältiger und hat täglich Kontakt mit mehr als einer Kultur. Unsere Jugend ist unsere Zukunft. Da besteht noch Hoffnung, dass sie genug offen ist, um zu verstehen.

Haben Lehrpersonen versagt, wenn Schülerinnen und Schülern am Ende einer solchen Ausstellung nichts Besseres in den Sinn kommt, als einen diskriminierenden Satz oder etwa «FCZ» hinzukritzeln?
Wir können nicht mit dem moralischen Finger auf die Lehrkräfte zeigen, wenn Schülerinnen und Schüler so etwas schreiben. Wir haben ein institutionelles Problem. Nicht nur die Minderheiten können gegen Rassismus und Diskriminierung kämpfen. Das Engagement muss auch von oben nach unten kommen: von der Politik zur Bevölkerung. Zum Beispiel sollte die Politik einen Weg finden, um Sensibilisierung und konkrete Kurse zu ermöglichen, welche die richtige Geschichte der Schweiz im Lehrplan der Schulbildung vermitteln.

*Yvonne Apiyo Brändle-Amolo ist SP-Gemeinderätin in Schlieren und Präsidentin des Vereins Swiss Diversity.

Quelle: ZüriToday
veröffentlicht: 22. Mai 2023 06:58
aktualisiert: 22. Mai 2023 06:58