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Foto: Zur Verfügung gestellt
Schweiz am Wochenende

Sprengen diese Datenbrillen die Grenzen menschlicher Wahrnehmung?

Tech-Giganten wie Microsoft tüfteln an Datenbrillen, die das Smartphone ablösen sollen. Entstehen soll eine Mischrealität, auch als «Augmented Reality» bekannt.

Im Oktober 2014 investierte Google sowie eine Reihe weiterer Firmen 542 Millionen US-Dollar in ein mysteriöses Startup mit den Namen Magic Leap. Bis heute stieg das Investitionskapital auf knapp zwei Milliarden US-Dollar: Eine beträchtliche Summe für ein Unternehmen, das noch kein einziges Produkt auf den Markt gebracht hat. Ende 2017 hat «Magic Leap» nun das Gerät vorgestellt, an dem seit Jahren unter strengster Geheimhaltung gearbeitet wurde: Eine futuristisch wirkende Brille, die mit einer Vielzahl Sensoren ausgestattet ist. Wer sie aufsetzt, sieht aus wie ein vieläugiges Insekt.

Im Gegensatz zu «Google Glass» beschränkt sich die Brille von «Magic Leap» nicht darauf, Informationen ins Sichtfeld des Nutzers einzublenden. Das Gerät kann die Umgebung mittels Tiefensensoren dreidimensional erfassen und digitale Effekte sowie dreidimensionale Gegenstände und Menschen glaubhaft in den Raum projizieren, als wären sie Bestandteil der Wirklichkeit.

Microsoft bietet seit 2016 ein Gerät mit ähnlicher Funktion an: Die «HoloLens» wird wie eine Krone auf dem Kopf getragen, nimmt die Umgebung räumlich wahr und reichert sie mit digitalen Elementen an. Die Brille von «Magic Leap» ist im Vergleich kleiner und leichter. Inwieweit sie das Produkt von Microsoft auch technisch übertrifft, ist noch unklar.

Jetzt auf

Grenzen werden aufgeweicht
Die Visionäre des Silicon Valley wollen mit solchen Brillen eine neue, natürlichere Schnittstelle zwischen Mensch und Computer schaffen. Digitale Informationen sollen vom kleinen, flachen Bildschirm des Smartphones befreit werden und mit Hilfe der smarten Brille den Sprung in die räumlich wahrgenommene Wirklichkeit schaffen.

Dadurch soll langfristig eine Mischrealität entstehen, in der sich physische und digitale Informationen gegenseitigen ergänzen und durchdringen. Dieses technologische Konzept wird verschiedentlich «Augmented Reality» (AR) oder «Mixed Reality» (MR) genannt. Die AR-Geräte von «Magic Leap» und Microsoft leisten dabei weitaus mehr als die Datenbrille von Google – sie fallen aufgrund ihrer Grösse aber auch stärker auf. Wer diese Brillen in der Öffentlichkeit trägt, wirkt wie ein Reisender aus der Zukunft. Alleine deshalb dürften es die Geräte schwer haben, sich bei der breiten Bevölkerung durchzusetzen – ganz egal, wie beeindruckend oder nützlich die Technologie ist. Hinzu kommt, dass in den Brillen Kameras eingebaut sind, mit denen Nutzer ihre Umgebung filmen können.

Als sich vor fünf Jahren die ersten Frühnutzer mit «Google Glass» in der Öffentlichkeit gezeigt hatten, stiessen sie auf wenig Gegenliebe: Um die Privatsphäre von Gästen zu schützen, wurden die Datenbrillen aus Lokalen und Kinos verbannt, die Träger als «Glassholes» beschimpft.

Anfang 2015 bezeichnete Google die Datenbrille als Flop und stoppte den Verkauf, noch bevor sie offiziell auf den Markt kam. Das war jedoch nicht das Ende von Googles Projekt: Die Datenbrille wurde zu einem Produkt für professionelle Anwender und Unternehmen mit konkreten Anwendungsszenarien weiterentwickelt. Mit «Google Glass» haben Logistiker von DHL und Techniker von General Electric alle benötigten Informationen im Blick und können effizienter arbeiten, da sie die Hände frei haben.

Es braucht noch Durchbrüche
Microsoft und «Magic Leap» werden zunächst ebenfalls den professionellen und industriellen Markt ins Auge fassen und parallel die Forschung und Entwicklung der nächsten Gerätegeneration vorantreiben. Die Technologie steckt trotz allem Optimismus noch immer in den Kinderschuhen. Mit massentauglichen AR-Brillen darf man, wenn überhaupt, erst in fünf bis zehn Jahren rechnen – wichtige technologische Durchbrüche bei der Displaytechnik vorausgesetzt. Das grösste, noch ungelöste Problem liegt darin, dass die digitalen Einblendungen nur innerhalb eines relativ kleinen Fensters erscheinen und nicht das gesamte Sichtfeld ausfüllen.

Weniger ist mehr
Einen vollkommen anderen Weg beschreitet der Chiphersteller Intel. Das Unternehmen stellte kürzlich einen Prototyp mit dem Namen Vaunt vor. Das oberste Ziel der Ingenieure war, eine Datenbrille zu bauen, die nicht als solche erkennbar ist und ohne soziale Auswirkungen getragen werden kann. «Vaunt» hat keine Tiefensensoren und teure Spezialdisplays wie «HoloLens» und «Magic Leap» verbaut, und selbst auf eine Kamera wurde verzichtet. Dafür passt die Elektronik in ein Brillengestell.

Das Gerät ist anders als bei «Google Glass» kein eigenständiger Rechner, sondern dient als erweitertes Smartphone-Display: Es wird per Bluetooth mit dem Handy verbunden und blendet Informationen, Benachrichtigungen oder einfache Apps im Sichtfeld der Trägerin oder des Trägers ein, ohne dass das Smartphone jedes Mal aus der Tasche gezückt werden muss.

Laut einem Bericht des Technologieportals The Verge werden die Einblendungen per Laser auf die Netzhaut projiziert. Dabei sind sie nur so lange sichtbar, wie sich der Nutzer auf sie fokussiert. Würde man natürlich schauen, verschwänden die Informationen und würden nicht mehr bewusst wahrgenommen.

Mit «Vaunt» geht Intel das grösste Problem smarter Brillen an: die Datenschutzbedenken und das soziale Stigma, das mit dem Tragen der meist uneleganten Technik einhergeht. Ob die Brille erfolgreich wird, dürfte von der Unterstützung durch die Brillenhersteller abhängen. Im schnellsten Fall könnte man schon in zwei oder drei Jahren zum Optiker gehen und seine Sehhilfe gegen einen Aufpreis um smarte Funktionen erweitern lassen.

Dadurch wären womöglich weniger Leute abgeneigt, eine Datenbrille auszuprobieren. Für die Industrie wäre dies der erste Schritt Richtung Massenmarkt, während AR-Brillen wie «Hololens» und das Gerät von «Magic Leap» zu massentauglichen Produkten heranreifen würden.

Apple mischt mit
Dass diese Vorstellung nicht so realitätsfern ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint, zeigt sich an Apples Investitionen im Bereich «Augmented» Reality. Das Unternehmen erwarb in den vergangenen Jahren mehr als ein halbes Dutzend Firmen, die AR-Schlüsseltechnologien entwickeltn. Ende 2017 sickerte zudem durch, dass mehrere Hunderte Ingenieure an einer smarten Brille arbeiten. Laut einer unternehmensnahen Quelle soll das Gerät bis 2019 Produktreife erlangen – und könnte 2020 erscheinen. Wahrscheinlich handelt es sich ebenso wie bei «Vaunt» um ein Gerät, das mit dem Smartphone verbunden wird.

Apples CEO Tim Cook gehört zu den grössten Verfechtern von «Augmented Reality». Er zeigt sich zuversichtlich, dass die Technologie trotz der technischen Herausforderungen im Massenmarkt ankommen wird: «Es wird im grossen Massstab passieren. Und wenn es passiert, werden wir uns fragen, wie wir ohne ‹Augmented Reality› leben konnten.» So wie wir uns heute fragen würden, wie wir früher ohne Smartphones leben konnten, sagt Cook.

Von Tomislav Bezmalinovic

Quelle: Schweiz am Wochenende
veröffentlicht: 18. Februar 2018 04:00
aktualisiert: 18. Februar 2018 04:00